DIE WELT
Freitag, 28.
Januar 2005
Immer in Bewegung
Der Konzeptkünstler Ottjörg A. C. erkundet die Welt
zeichnerisch
VON
CORINNA
DANIELS
Auf die Idee muß man erst mal kommen: Ottjörg A. C. zeichnet
Rindviecher rund um den Globus. Denn der Künstler hat beobachtet, daß
die Tiere sowohl aus dem hiesigen Alltag als auch aus der künstlerischen
Tradition verschwinden. Eine Milchtüte mit Disney-Rind inspirierte ihn,
nach der Urkuh zu suchen. In China und Brasilien zunächst, Afrika, Indien
und die USA sollen folgen.
Von seinen zahlreichen Reisen hat der Nomade mit Heimathafen in
Berlin und der Mark Zeichnungen mitgebracht. Sie werden in der Galerie
Meinhold & Reucker gezeigt. Beim Anblick starker Stierköpfe in Serie,
die in erdigen Tönen hauchzart aufs Papier getuscht sind, fallen sublime
Farbnuancen auf. Diese ergeben sich aus der unterschiedlichen
Zusammensetzung der Erde in den verschiedenen Ländern.
Mit Acryl gebunden ist Mutter Natur nun unauffälliger Bestandteil
der Kunst. Das Projekt mit dem Namen "Existiermale" wird über
die aktuelle Ausstellung hinaus noch fortgesetzt. Angelegt auf acht Jahre,
soll es einmal im Rahmen einer Installation die verschiedenen Lebenswelten
der Rinder präsentieren. Ottjörg A. C., der seinen Nachnamen nicht
preisgeben will, denkt konzeptuell.
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Auch sein früheres Projekt, "Existentmale", das Christine
Reucker und Harald Meinhold beim ersten Berliner Kunstsalon im vergangenen
Herbst parallel zum Art Forum vorstellten, ist konzeptionell angelegt.
Ottjörg A. C. sammelte zerkratzte U-Bahn-Scheiben in 14 Metropolen
der Welt und nahm Radierungen von den Scratchings der anonymen
Großstadtkids, die sich hiermit ähnlich dem Künstler eine mediale
Existenz schufen, allerdings nur illegal.
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Lernt jetzt Chinesisch: Der Maler Ottjörg
A.C.
FOTO: FRANK WEGNER
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Auf ganz legalem Wege war es gar nicht so leicht, die Scheiben zu
bekommen, erzählt der Künstler. Eine lange Korrespondenz mit den
Bahn-Verantwortlichen war nötig. Sie lieferte aufschlußreiche Einblicke
in die Strukturen der einzelnen Länder. Italien ließ sich die
ausrangierten Scheiben bezahlen. In Frankreich verweigerte die
Gewerkschaft ihrer Klientel die Mitarbeit am Kunstprojekt.
In der jetzigen Ausstellung werden allerdings andere grafische Arbeiten
gezeigt. Es sind dezent farbige Lithographien mit menschlichen Motiven,
die stark abstrahiert und in Bewegung aufgelöst sind. Dem dichten
Wirrwarr an Strichen steht die klare Reduziertheit und Beschränkung auf
wenige Linien bei den Zeichnungen gegenüber. Eine ganze Wand füllen 80
kleine Schwarz-Weiß-Tuschezeichnungen.
Hier hat der Künstler, der ursprünglich Bildhauerei bei Alfred
Hrdlicka in Wien studierte und dann bei Rolf Szymanski an der Berliner UdK
abschloß, sich dem Thema Tanz gewidmet. Blitzschnell bannte er mit seinem
chinesischem Pinsel einen Modern Dancer in fragmentarischen Zeichen aufs
Papier. "Es geht um das Nachempfinden der Figur in Bewegung",
erläutert der 46-Jährige, der selbst ständig in Aktion ist. Ein
bewegtes Leben mit Drang in die Ferne zeugt davon.
Bevor der gebürtige Heidelberger zum freischaffenden Künstler wurde,
erkundete er die Berliner Hausbesetzerszene und das Tischlerwesen. Als Nächstes
plant er wieder eine China-Reise. In Peking stellte A. C. jüngst als
einziger Deutscher im "White Space" von Alexander Ochs zusammen
mit acht chinesischen Künstlern aus, die alle in Deutschland studiert
haben.
"Der Kunstmarkt explodiert in China, aber gefragt ist nur
chinesische Kunst, vor allem Malerei. Über Auktionen läuft viel, das
Galeriewesen ist nicht so richtig ausgeprägt", berichtet der Künstler,
der von den rasanten Veränderungen im Land beeindruckt ist. Gerade wurde
er gefragt, ob er für die Kunstakademie in Kanton als Lehrer tätig
werden wolle.
Demnächst steht deshalb ein Intensiv-Sprachkurs Chinesisch an. So könnte
es noch in diesem Jahr sein, daß dieser umtriebige Berliner Konzeptkünstler,
der 1989 bereits erstmals in China ausstellte, sein Bündel schnürt und
sich wieder aufmacht, um in der weiten Welt nach Chiffren tierischer und
menschlicher Existenz zu suchen.
Die Preise für die Tuschezeichnungen, Radierungen und zeichnerisch überarbeiteten
Fotografien von Ottjörg A. C. liegen zwischen 200 und 450 Euro;
Holzskulpturen und Bronzeplastiken von Stephan Voigtländer ergänzen die
Ausstellung. Sie kosten rund 2400 Euro.
Galerie Meinhold & Reucker, Giesebrechtstr. 2, Charlottenburg;
Bis 1. März. Öffnungszeiten: Di-Fr 14-19, Sa 12-16 Uhr.
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