Galerie
Meinhold & Reucker
Ausstellung
Kempf
Harald Meinhold
Günther Kempf "Oh
Himmel, strahlender Azur!"
Einführung zur Ausstellungseröffnung
Galerie MEINHOLD
& REUCKER
Berlin, 24.9.2004
Günther Kempf lebt in Regensburg, also im Land Bayern, und wenn
man den Titel der Ausstellung und seine Bilder und Skulpturen kennt, könnte
man vielleicht am Anfang gleich die Frage stellen: Sind die bayrischen
Seeräuber unter oder über uns gekommen?
Oder, sind die Bewohner der Alpenländer unter die seefahrenden
Nationen geraten. Das klingt vielleicht etwas gewagt, ist aber gar nicht
so abwegig. Es gibt nämlich noch andere in den süddeutschen und alpenländischen
Regionen.
Der Augsburger Bertolt Brecht
zum Beispiel, aus dessen "Ballade von den Seeräubern" unser
Ausstellungstitel stammt, lässt seine dem Meer verfallenen Piraten im
Sturm zur Hölle rasen. Oder er lässt Schiffe mit acht Segeln fremde Städte
beschießen, so dass allen Zimmermädchen in dreckigen Hotels die Herzen höher
schlagen. - Der zwei Jahre
nach Günther Kempf geborene Oberösterreicher Christoph Ransmayr lässt
in seinem Roman "Die Schrecken des Eises und der Finsternis"
eine österreichisch-ungarische Nordpol-Expedition, die es 1873 tatsächlich
einmal gegeben hat, in den Eiswüsten der Arktis verschwinden und
vergehen.
Und Günther Kempf, der malende
Pirat aus der bayrisch-katholischen Domstadt Regensburg, macht hölzerne
Nussschalen zu Hochseeschiffen. Er schickt Jason, so heißt das Bild auf
der Einladungskarte, schickt also Jason, den Anführer der Argonauten mit
wenig seetüchtigen Schiffen auf die Suche nach dem goldenen Vließ. Oder
er lässt fliegende Schoner nach gehörnten Unterwasserpanthern suchen.
Ich glaube, das ist die Sehnsucht der Bergbewohner nach der Weite und
Unbegrenztheit des Meeres, wo keine Felsen oder Berge die Sicht, und schon
gar nicht den malerischen Blick verstellen. Es gibt natürlich bei Günther
Kempf noch sehr viel anderes als Wasserfahrzeuge, Archen, Galleonen oder
Unterwasserpanther.
Wenn man versucht, vorsichtig versucht, die Kempf’sche Bilder- und
Skulpturenwelt, das Szenarium seiner "Artefakte", zu
charakterisieren, dann kommt man an der Nennung der Münchener Galerie
Otto van de Loo / Marie José van de Loo, die seine Arbeiten seit 1993
ausstellt, nicht vorbei. Otto van de Loo hat Ende der fünfziger Jahre die
COBRA-Künstler mit Namen wie Asger Jorn, Alechinsky, Constant oder Karel
Appel in Deutschland bekannt gemacht, und anschließend auch den Münchener
COBRA-Verwandten, der Gruppe SPUR, zu Ruhm und Ehre verholfen. Vom letzten
November bis Januar diesen Jahres war die Sammlung
van de Loos, die als Schenkung nach Berlin und Emden gegangen ist,
hier bei uns in der Neuen Nationalgalerie unter dem schönen Titel
"Anarchie in der Kunst" zu bewundern. Und es war damit sehr
klar, dass COBRA und SPUR nicht folgenlos geblieben sind und dass die
Spuren von COBRA bis in die jüngste Gegenwart reichen. In Berlin hat die
Galerie Georg Nothelfer mit Künstlern wie Max Neumann oder Galli diese
Spur verfolgt. Und auf der Spur von COBRA ist auch Günther Kempf zu
verorten.
COBRA bezog eine Gegenposition
zur Überintellektualisierung der bildenden Kunst der Nachkriegszeit und
ließ sich von einfachsten Kunstformen, von sog. primitiven Kulturen bis
zur Volkskunst inspirieren. Die abstrakte Malerei wurde als leerer Ästhetizismus,
als Tummelplatz für Denkfaule kritisiert. Karel Appel sagte später:
"Wir warfen alles über Bord, was wir kannten, und begannen wie ein
Kind - frisch und neu".
Frisch und neu, ungestüm, freundlich und immer wieder überraschend kommt
auch die Kunst von Günther Kempf daher. Er liebt es ganz offensichtlich,
kreuz und quer durch die Kunst-, Kultur- und Literaturgeschichte zu
springen. Er taucht hemmungslos in die Welt des Comics ein (so etwas hat
natürlich Roy Liechtenstein auch gemacht) und transformiert Hergés Tim
und Struppi zu Kunst auf Leinwand oder Holz (1).
Oder er begibt sich auf katholische Wallfahrt nach Maria Laach, wo die
Madonna mit dem sechsten Finger droht (2).
Er verwandelt Statuettenreliquiare in wundersame Holzobjekte und zeigt in
Lindenholz, 23 cm groß, wie Käthe Kollwitz aussah, als ihr einmal das
Pflaumenmus anbrannte (2).
In unserer Ausstellung dominiert im vorderen Raum die See, der
Mythos See und alles, was sich auf, unter und vielleicht auch über ihr,
der See, bewegt. Über der See bewegt sich zum Beispiel „The Flying
Schooner“, ein fliegendes zweimastiges Segelschiff, das wegen der vielen
anderen Schiffe heute allerdings keinen Platz an der Wand fand und im
Keller steht. Auf der See
bewegen sich die zahlreichen anderen Boote, Galeeren, Wasserfahrzeuge, die
sich im vorderen Raum der Galerie im Schaufenster, an den Wänden oder auf
Sockeln versammelt haben. - Und
unter Wasser gehört natürlich - weil der Name das zwingend vorgibt - der
"gehörnte Unterwasserpanther", Holz, verschiedene Materialien,
farbig gefasst, 44 cm lang. Aber wir waren so frei, das schrecklich-sanfte
Ungeheuer auf einen Sockel zu stellen, statt ein Aquarium zu installieren.
-
Im hinteren Galeriebereich haben wir es an den Wänden mit zum Teil
sehr seltsamen Heiligen zu tun, die aber vielleicht doch nicht unbedingt
in eine Kirche gehören. Denn wenn man sich auf dem 190 cm hohen Tafelbild
„Portire Venere“ die Umrandung näher ansieht, werden Sie meine
Vorsicht beim Umgang mit diesen Heiligen verstehen. Auf den Sockeln
befinden sich eine attraktive Dame mit Namen „Fox Lady“ oder der
Wunschtraum, einmal König zu sein (When
we were King,) und hinreißende
Tiere aus Holz und sog. verschiedenen Materialien. -
Und dann gibt es noch das wunderschöne Indianerpferd mit dem
vokalreichen Namen „Appaloosa“ und einige Arbeiten in Öl auf Holz
sowie Zeichnungen auf Papier, die aus einer Serie stammen mit dem für
mich geheimnisvollen Namen "Pyxis-Puppis-Vela". Günther Kempf
hat per Telefon aus Regensburg meine Bildungslücke geschlossen.
Ich weiß jetzt, dass es sich bei Pyxis, Puppis und Vela um
griechische Begriffe für Teile eines Schiffes handelt.
Also, die See lässt Günther Kempf und uns nicht los.
Und das Bild "St. Marie" zeigt keine heilige Madonna,
sondern ein Schiff und verweist mit seiner etwas verwischten Inschrift
"Lasst uns um St. Marie die See" im oberen rechten Teil des
Bildes auf die Brecht’sche "Ballade von den Seeräubern", aus
deren berühmtem Refrain unser Ausstellungstitel stammt. Ich zitiere:
Oh Himmel strahlender Azur!
Enormer Wind die Segel bläh!
Laßt Wind und Himmel fahren!
Nur
Laßt uns um St. Marie die See! (3)
(1)
Günther Kempf
"Ligne Claire - Hommage à Hergé", Katalogbuch, Galerie Peter Bäumler
Regensburg, 1997
(2)
Günther Kempf
"Das Drohen mit dem sechsten Finger", Katalog, Regensburg 1994
(3) Bertold Brechts
Taschenpostille, Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar, 1978
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